Hermine Wertheimer, geb. Weil wird am 7.12.1885 als Tochter des Hopfenhändlers Adalbert Weil in Speyer geboren. Sie heiratet den Kaufmann Salomon Wertheimer, Teilhaber der Firma Löb & Wertheimer, Großdestillation und Dampfbrennerei, Likörfabrik (vormals Hoflieferant) in der Weißenburgstraße 28. Seit der Firmengründung 1902 sind die Wertheimers in Stuttgart ansässig. Ab 1907 wohnen sie in der Olgastraße 124, in der Belle Etage im 1. Stock. Der Geschäftspartner Richard Löb wohnt auch in der Olgastraße (Nr. 93 B), beide haben den gleichen Zugang zu ihrer Fabrik in den Hinterhöfen zwischen Olga- und Mozartstraße. Hier in der Olgastraße wird den Wertheimers 1907 Gertrud, das einzige Kind, geboren. Es wächst
behütet und in bürgerlichem Wohlstand auf. Die Eltern sind integriert in die deutsch-schwäbische Gesellschaft, Salomon Wertheimer ist seit 1913 Mitglied in der Sektion Schwaben des Deutschen und Österreichischen Alpen-Vereins.
1930 wird Gertruds Ehemann, der am 6.9.1898 in Stuttgart geborene Josef Pressburger, als weiterer Teilhaber in die Firma aufgenommen.
Am 9.7.1933 stirbt Salomon Wertheimer im Alter von nur 57 Jahren, Hermine ist nun den genau in diesem Jahr einsetzenden antijüdischen Maßnahmen, auch gegen die Firma, ohne ihren Ehemann ausgesetzt.
1936 scheidet Richard Löb aus, er lässt sich ausbezahlen und geht ins Ausland. Josef Pressburger muss das Geschäft verkaufen. Es ist ein langsamer quälender Prozess von Oktober 1938 bis Mai 1940, als die Firma für erloschen gilt. Als Nachfolgefirma – in Wahrheit ist es eine Arisierung – wird jetzt Otto Meier & Co. eingetragen, sie übernimmt die Bücher und Schriften der früheren Firma. Das Entgelt für die erheblich unterbewertete Fabrik muss auf ein Sperrkonto eingezahlt werden. Die Familie Pressburger zieht, wohl auch aus finanziellen Gründen, zu Hermine Wertheimer in die Olgastraße 124. Die letzte große Freude für die Großmutter wird der 1931 geborene Enkel Albert gewesen sein.
1940 müssen alle in die Gaußstraße 57 A umziehen. Es ist ein sogenanntes Judenhaus mit einem jüdischen Besitzer, in das nun viele andere Juden hineingezwängt werden. Die Möbel, Ölgemälde und Teppiche der großen Wohnung hat Hermine Wertheimer einem Lagerhaus zur Aufbewahrung übergeben.
Im März 1941 wandert die Familie der Tochter, Gertrud und Josef Pressburger mit dem 10jährigen Albert, aus nach New York. Sie nennen sich nun Preston, der Sohn heißt hier Kenneth Albert. Die Mutter wollen sie baldmöglichst nachholen.
Die Kinder erleben nicht mehr mit, wie ihre Mutter am 11.11.1941 nach Oberdorf „zwangsevakuiert“ wird. Oberdorf, heute ein Ortsteil von Bopfingen, war eine der kleinstädtischen und ländlichen Gemeinden mit einem relativ großen jüdischen Bevölkerungsanteil. In die kleinen jüdischen Häuser, die zum Teil heute noch stehen, werden sie zu ihren Leidensgenossen einquartiert, müssen dort auf engstem Raum leben mit äußerst knapp bemessenen Lebensmittelrationen.
Hermine Wertheimer, 56 Jahre alt, wird schon nach gut zwei Wochen der ersten Deportation aus Stuttgart am 1.12.1941 nach Riga zugeteilt.
Ende November werden 24 Juden (13 Einheimische und 11 Einquartierte) von Oberdorf nach Stuttgart ins Sammellager auf dem Killesberg transportiert. Es sind die unter 60Jährigen, die Arbeitsgeräte mitbringen sollen, um an der angeblichen Neuansiedlung im Osten mitzuarbeiten.
Der Transport geht am 1.12.1941 im Morgengrauen vom Güterbahnhof des Nordbahnhofs ab nach Riga. In den beschädigten Baracken und Scheunen des Lagers Jungfernhof sterben bald nach der Ankunft viele an Hunger, Kälte und Krankheiten. Ob dies das Schicksal von Hermine Wertheimer ist, weiß man nicht, auch nicht, ob sie zu den Toten der Massenexekution am 26.3.1942 im nahe gelegenen Wald von Bikernieki gehört.
Vielleicht ist Hermine Wertheimer noch am Leben, als sich der Staat schon an ihrem restlichen Vermögen bereichert: laut Mitteilung des Finanzamts Aalen an die Dresdner Bank vom 18.12.1941, keine drei Wochen nach der Deportation, sollen durch Verfügung der Gestapo die Guthaben der Frau Wertheimer zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen werden, was wenige Tage später geschieht. Die im Depot befindlichen Wertpapiere liefert die Bank gleich an die Reichshauptkasse ab, dies alles ist belegt mit Zahl und Datum. Es ist eindeutig: für die Täter sind es Deportationen ohne Wiederkehr, dafür in einen grausamen Tod.
Hermine Wertheimers gedacht wird in Oberdorf in der Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemalige Synagoge Bopfingen-Oberdorf und auf dem dortigen jüdischen Friedhof, wo auf einer Tafel ihr Name vermerkt ist.
Und auch auf dem israelitischen Teil des Stuttgarter Pragfriedhofs erinnert auf dem Grabstein des 1933 verstorbenen Salomon Wertheimer die Inschrift an „Minni (Hermine) Wertheimer, … umgekommen nach Deportation 1941 nach Riga“.
2010 / Irma Glaub, Stuttgart-Süd