In der Wiederholdstraße 20 hatte die Kaufmannswitwe Martha Münzesheimer ihren letzten frei gewählten Wohnsitz. Ihr Mann, Simon Münzesheimer, Hoflieferant und Kaufmann, war Teilhaber der Firma L. Krailsheimer & Co gewesen, einem renommierten Polsterwaren- und Teppichhaus in der Calwer Straße 28. Über ihn heißt es in einem familieninternen Schreiben: „Simon Münzesheimer ist ein so guter Deutscher gewesen, dass er sein ganzes Vermögen im 1. Weltkrieg in Kriegsanleihen angelegt hatte.“ Dies war typisch für die stark national geprägte Gesinnung vieler Juden im Reich. Er starb am 23.12. 1936 in Stuttgart und liegt auf dem jüdischen Teil des Pragfriedhofs begraben.
Als Witwe gehörte Martha Münzesheimer noch immer zu den wohlhabenderen Bürgern Stuttgarts, die Akten erwähnen eine 5-Zimmerwohnung im ersten Stock. Auch die Summe von 29.250 RM, die sie als so genannte Judenvermögensabgabe nach der Pogromnacht zu entrichten hatte, bestätigt dies. Die Pfandleihanstalt Stuttgart berechnete den Wert der abzugebenden Hausratsgegenstände (Möbel, Gemälde, Juwelen, Silber u. a.) mit 25.000 RM, eine ‚Entschädigung an die Juden’, die den wahren Wert nur zu Bruchteilen angibt.
Nicht zuletzt auch die zahlreichen amtlich verordneten Wohnungswechsel dieser alleinstehenden alten Dame belegen ihren Leidensweg: 1938 zog sie in die Lenzhalde 99 um, ein Jahr später wohnte sie im Herdweg 50, danach in einem Massenquartier im jüdischen Schwesternheim in der Dillmannstraße 19. Nach dessen Räumung 1941 wurde sie in das Altenheim Heidehofstraße 9 eingewiesen. Wenige Monate später, im Februar 1942, erfolgte die Zwangsumsiedlung nach Dellmensingen. Man verlangte von ihr den Betrag von 34.911 RM für einen Daueraufenthalt mit Versorgung im so titulierten jüdischen Altersheim. Martha Münzesheimer glaubte durch diesen verordneten „Heimeinkauf“ für den Rest ihres Lebens ausgesorgt zu haben. Doch nur 6 Monate später erhielt sie die amtliche Aufforderung, sich zur Verschickung nach Theresienstadt im Sammellager am Killesberg einzufinden. Am 22.8.1942 wurde sie mit ca. 1000 weiteren Württembergern vom Nordbahnhofsgelände aus deportiert. Nur 10 Tage später starb sie an den Folgen des Transports; die Listen in Theresienstadt verzeichnen ihren Tod mit dem 1.9.1942.
Am Schicksal von Martha Münzesheimer zeigt sich besonders anschaulich, wie das Nazi-Regime betrügerisch und systematisch vor allem die älteren und vermögenderen jüdischen Mitbürger ausgeraubt und mit Hilfe von Gesetzen und Verordnungen um Leben und Besitz gebracht hat.
Die 1904 erbauten Häuser Wiederholdstraße 20 und 23 wurden am 12. September 1944 durch einen schweren Luftangriff der Royal Air Force zerstört.
Recherche & Text: Josef Klegraf,Initiative Stolpersteine Stuttgart-Nord.