Siegfried Michelbacher wurde am 6.9.1923 in Mannheim geboren. Sein Vater Max, geb. 1874, war jüdisch, seine Mutter Emilie, geb. Langenstein, geb. 1890, christlich. Nach der Sprachregelung der Nazis galt Siegfried wie auch seine Schwester Gabriele, geb. 1926, als jüdisch erzogener „Mischling 1. Grades“, als „Halbjude“.
Die Familie kam 1933 nach Stuttgart und wohnte bis 1941 in der Hauptstätter Straße 92. Der Vater war 20 Jahre lang bei der Firma Wronker in Mannheim beschäftigt gewesen, zuletzt als Personalchef. In Stuttgart eröffneten sie ein „Wasch- und Bügelgeschäft“, das später unter dem Namen der Emilie Michelbacher geführt wurde.
Siegfried besuchte zunächst die Fangelsbachschule, die heutige Heusteigschule, dann, als Juden die öffentlichen Schulen nicht mehr besuchen durften, ab 1935 die jüdische Schule in der Hospitalstraße 36, die er 1937 mit sehr guten Zeugnissen verließ. Der Besuch einer höheren Schule war ihm als „Halbjuden“ verwehrt, so wurde er Koch, ein damals für Juden beliebter, weil schnell erlernbarer Beruf. Er lernte drei Jahre lang in Mainz in einem jüdischen Krankenhaus, mit einem sehr guten Abschluss, und war anschließend bis zu seiner Deportation nach Theresienstadt bei der jüdischen Gemeinde in Stuttgart beschäftigt, also von 1940-1943. Auch seine Mutter Emilie arbeitete dort in der Kantine.
1942 musste die Familie Michelbacher ins jüdische Gemeindehaus Hospitalstraße 36 umziehen, das als „Judenhaus“ galt. Auch Alfred Marx, der Leiter der „Mittelstelle“, der jüdischen Restverwaltung unter Aufsicht der Gestapo und Nachfolger von Karl Adler, wohnte dort, wie er 1966 (nun als Landgerichtspräsident a.D.) vor dem Wiedergutmachungsgericht als Zeuge für Siegfried M. aussagte. Der Vater, Max Michelbacher, musste von Ende 1940 bis Mitte 1943 eine Zwangs-Evakuierung in Oberdorf am Ipf hinnehmen. Er starb am 18.11.1944 in S-Kaltental, Schwarzwaldstr. 94 A, wo die Eltern mit Tochter Gabriele inzwischen wohnten. Sein Grab ist auf dem Pragfriedhof. Da war sein Sohn Siegfried bereits in Dachau inhaftiert.
Am 17.4.1943 wird Siegfried nach Theresienstadt deportiert. Die überlebende gleichaltrige M. E. Bernstein berichtet später, der Freund habe hier oft zu ihr von seinem Zukunftsplan gesprochen, Arzt zu werden, falls er überleben würde. Er ist jetzt 20 Jahre alt und sicher sehr nützlich für Arbeiten im „Altersheim“ Theresienstadt.
Am 29.9.1944 erfolgt die Deportation nach Auschwitz. Dort wird man ihn als voll arbeitsfähig aussortiert haben. Am 10.10.1944 schickt man ihn nach Dachau. Nach Auskunft der Gedenkstätte KZ Dachau ist er dort am 8.2.1945 „verstorben“. Seine Schwester Gabriele schildert im 1982 erschienenen Buch „Lebenszeichen“, wie sie im Januar 1939 mit einem Kindertransport nach Holland zu einer Familie, 1942 aber ins Sammellager Westerbork kam, mit gefälschten Urkunden befreit und als Nichtjüdin nach Stuttgart zurückgeschickt wurde, wo sie bis Kriegsende in einer Druckerei arbeitete. 1948 ging sie nach Israel, lernte in Jerusalem Krankenschwester und lebte mit Ehemann Abraham Ben Mosche (früher Alfred Moses) und zwei Söhnen in einem Kibbuz, später in Beer Sheva im Negev. Mutter Emilie hatte den jüdischen Glauben angenommen, sie folgte 1949 vorübergehend nach Israel, lebte einige Jahre wieder in Stuttgart und seit 1963 endgültig in Israel, wo sie 1970 im Alter von 80 Jahren in Beer Sheva starb. Bleibende Erinnerung an Emilie Michelbacher: sie hatte die aus der zerstörten Stuttgarter Synagoge verschwundenen Thorarollen in gefahrvoller Zeit in einer kleinen Landgemeinde entdeckt und gerettet. Bei der Einweihung der neuen Synagoge am alten Platz in der Hospitalstraße am 13. Mai 1952 wurden diese wertvollen Thorarollen in einem feierlichen Zug in die Synagoge getragen. Es ist anzunehmen, dass Emilie Michelbacher an der festlichen Zeremonie teilnahm.
Recherche und Text: 2012 / Irma Glaub / Initiative Stolpersteine Stuttgart-Süd.
Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg, Stadtarchiv Stuttgart und die im Text angeführte Literatur.