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Erinnerungskultur in Stuttgart: Angehende Lehrer bringen Stolpersteine zum Glänzen

Artikel aus der Stuttgarter Zeitung 
Jan Sellner – 21.02.2025 – 20:01 Uhr 


„Den Namen neuen Glanz verleihen“: Stolperstein-Putzaktion künftiger Gymnasiallehrerinnen und -lehrer in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Kurz vor der Bundestagswahl haben angehende Gymnasiallehrer in Stuttgart die Aktion „Refis gegen rechts“ gestartet und als Zeichen geschichtlicher Verantwortung und demokratischen Engagements Stolpersteine geputzt. Eine Aktion, die buchstäblich Schule machen könnte.

Junge Köpfe, junge Stimmen, junge Hände sind es, die zwei Tage vor der Bundestagswahl die Ärmel aufkrempeln, den Mund aufmachen und Stellung beziehen. Auf Initiative der angehenden Gymnasiallehrerinnen Tabea Booz, Clarissa Oesterle und Sina Ullrich machen sich am Freitagnachmittag von der Hospitalstraße aus zwei Dutzend Referendare und Ausbilder des Seminars für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte in Stuttgart gruppenweise in die Stadt auf, um ausgerüstet mit Stadtplan und Putzutensilien Stolpersteine zu putzen und damit nach ihren Worten „ein Zeichen gegen Geschichtsvergessenheit und für demokratische Werte“ zu setzen.

Von „oben“ kommt ausdrückliche Unterstützung
„Refis gegen rechts– wir putzen den Hass weg“, nennt sich das Vorhaben, das von der Direktorin des Seminars, Karin Winkler, und der Schulpräsidentin des Regierungsbezirks Stuttgart, Claudia Rugart, ausdrücklich unterstützt wird. Winkler lobt zum Start der Aktion in der Hospitalstraße die „besondere Initiative der Lehramtsanwärter, die ihren Diensteid richtig ernst nehmen“. Darin haben sie geschworen, das Grundgesetz zu achten und zu verteidigen und Gerechtigkeit auszuüben gegen jedermann. Das „aktive Verteidigen der Demokratie“, für das sich die angehenden Gymnasiallehrerinnen und -lehrer entschieden haben, nötigt Winkler Respekt ab: „Sie wenden sich damit gegen die fortschreitende Polarisierung in der Gesellschaft, zeigen Zivilcourage und kommen ins Handeln. Darüber bin ich sehr froh.“

Handeln heißt in diesem Fall, nicht abwarten, was passiert, sondern Putzzeug in die Hand nehmen und losziehen, um in Absprache mit den Stuttgarter Stolperstein-Initiativen einige der 1053 Stolpersteine in der Stadt wieder zum Glänzen zu bringen. Von deren Homepage (www.stuttgart-stolpersteine.de) haben sie auch die Putzanleitung entnommen. Zweimal im Jahr, manchmal auch dreimal, benötigen die Messingplatten entsprechende Pflege, damit die darauf eingestanzten Namen der Nazi-Opfer gut lesbar bleiben. Die Initiatorinnen wollen den Namen gemeinsam „neuen Glanz zu verleihen“. Passend dazu stimmt die künftige Musiklehrerin Tabea Booz zum Auftakt der Aktion in der Hospitalstraße ein selbst verfasstes Lied an. Der Titel: „Mach den Mund auf!“

„Keine Gleichgültigkeit gegenüber Demokratiefeindlichkeit“
Genau das tun sie. Ihre Kollegin Sina Ullrich erklärt, wofür sie angehenden Lehrerinnen stehen: „Wir wollen nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Werte, die auf Demokratie, Menschenrechten und Toleranz fußen.“ Demokratie sei kein Zustand , sondern ein Prozess, der von allen gestaltet und verteidigt werden müsse. Lehrkräfte seien zwar zu politischer Neutralität verpflichtet, „aber keinesfalls zu Gleichgültigkeit gegenüber Demokratiefeindlichkeit“, betont sie unter lautem Beifall: „Heute erleben wir, dass rechtsextreme Kräfte Einfluss gewinnen, dass die nationalsozialistischen Verbrechen relativiert werden und Grundlagen der Demokratie angegriffen werden“, warnt die angehende Lehrerin im Namen ihrer Kolleginnen und Kollegen. Dafür putzen sie an diesem Freitagnachmittag gerne.