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Projekt Stuttgarter Stolpersteine – Die Menschen hinter den Namen

Artikel aus den Stuttgarter Nachrichten
Jan Sellner 26.01.2024 – 06:59 Uhr

Stolpersteine in der Stuttgarter Rosenstraße. Foto: imago/Lichtgut/imago stock&people

Gemeinsam mit den Stuttgarter Stolperstein-Initiativen stellt unsere Zeitung ein Jahr lang Menschen vor, an die in Stuttgart ein Stolperstein erinnert, weil sie von den Nazis entrechtet, verfolgt, vertrieben und ermordet wurden. Diese Erinnerungsarbeit ist heute wichtiger denn je, kommentiert Redakteur Jan Sellner.
Niemandem ist zu wünschen, dass er stolpert. Oder doch? Was könnte der Grund dafür sein? Oder für den Wunsch, dass er hängen bleibt? Die Frage richtet sich an diejenigen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, „Stolpersteine“ zu verlegen. Die Antwort ist: Sie tun dies nicht, um jemandem Steine in den Weg zu legen. Sie wollen uns auch nicht ins Straucheln bringen, sondern zum Nachdenken über die Geschichte und die Frage: Was lernen wir daraus für die Gegenwart?
Angeführt werden die Stolperstein-Leute von dem Kölner Erinnerungskünstler Gunter Demnig. Von ihm stammt die in den 1990er Jahren geborene Idee, pflastersteingroße Betonwürfel mit Messingblech zu überziehen und darauf die Namen und Lebensdaten von Menschen zu verewigen, die von den Nazis verfolgt, vertrieben, ermordet oder in den Suizid getrieben worden sind: Juden, Sinti und Roma – Menschen, die durch das Rassenraster der Nazis fielen. Auch politische Gegner, Homosexuelle, Kranke, Deserteure. Die kleinen Gedenktafeln oder Stolpersteine, eingelassen ins Trottoir vor dem letzten selbst gewählten Wohnort der Betroffenen, gehören heute vielerorts zum Stadtbild. Allein in Stuttgart wurden in den vergangenen 20 Jahren mehr als 1000 Stolpersteine verlegt – so lange gibt es die ehrenamtlichen Stolperstein-Initiativen hier schon.

Lebensgeschichten, die oft hoffnungsvoll beginnen
Ihre Erinnerungsarbeit erschöpft sich nicht in der Nennung der Namen und der Lebensdaten der Menschen, deren Todeszeitpunkt meist in den 1930er und 1940er Jahren liegt. Sie beinhalten immer auch ihre Lebensgeschichte. Geschichten, die oft hoffnungsvoll beginnen, um tragisch zu enden. Geschichten voller zerstörter Träume, aber auch voller Zivilcourage und Lebensmut.
Aus Respekt vor diesen Leben und in Anerkennung der immer wichtiger werdenden Erinnerungsarbeit haben wir uns als Redaktion für dieses Jahr vorgenommen, gemeinsam mit den Stuttgarter Stolperstein-Initiativen regelmäßig eine Auswahl dieser von ihnen vorbildlich recherchierten Lebensgeschichten vorzustellen. Beginnen wollen wir in dieser Ausgabe mit der 1942 von den Nazis ermordeten Käthe Loewenthal. An diesem Samstag erinnern die Stolperstein-Initiativen an die jüdische Malerin mit einer Veranstaltung in der Ameisenbergstraße, wo sich ihr Atelier befand.

Stuttgarter Stolpersteine – Die Menschen hinter den Namen
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Es ist kein gewöhnlicher Samstag: Vor 79 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit. Mehr als eineinhalb Millionen Menschen hatten die Nazis dort ermordet. Seit 2005 ist der 27. Januar internationaler Holocaust-Gedenktag – in Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Der Landtag versammelt sich bereits an diesem Freitag in Karlsruhe, um dieses Jahr im Besonderen der badischen Jüdinnen und Juden zu gedenken, die von den ersten großen Deportationen betroffen waren. An etliche von ihnen erinnern Stolpersteine, wie auch an viele der mehr als 2500 württembergischen Jüdinnen und Juden, die vom Stuttgarter Nordbahnhof aus deportiert wurden.

Stolpersteine sollen auch Wachsamkeit erzeugen
Unsere Serie verstehen wir zugleich als ein Demokratieprojekt. Stolpersteine liegen quer zu dem verbreiteten Drang, Dinge einzuebnen. Sie unterbrechen buchstäblich den Gang der Menschen und der Dinge. In den kleinen Messingplatten blitzt die unheilvolle Vergangenheit auf, über die man nicht hinweggehen und -sehen kann, wenn sich Fehler von damals nicht wiederholen sollen. Sie sind wie Blitzwürfel, deren Sinn darin besteht, Aufmerksamkeit zu schaffen und Wachsamkeit zu erzeugen. Das ist dringend notwendig – gerade jetzt, wo der Antisemitismus wieder erstarkt, vermehrt menschenverachtende Äußerungen fallen und sich rechtsextreme Vertreibungsfantasien ausbreiten. Wenn wir darüber nicht stolpern, kommt am Ende die Demokratie zu Fall.