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Stolperstein in Bad Cannstatt: Vom Marine-Soldaten zum verzweifelten Deserteur

Artikel aus der Stuttgarter Zeitung 
Iris Frey – 22.09.2024 – 18:00 Uhr 


Erich Batschauer wurde 1941 zum Tode verurteilt. Foto: privat

Vor 83 Jahren wurde Erich Batschauer im Alter von 28 Jahren in Frankreich als junger deutsche Marine-Soldat erschossen. Ein Leben voller Hindernisse, Schwierigkeiten und Rückschläge. 

Am 18. September 1941 wurde das Gnadengesuch von Erich Batschauer vom Marinekriegsgerichtsrat abgelehnt. Er wurde zum Tode verurteilt. Es nützte nichts, dass sein Verteidiger noch darauf hingewiesen hatte, dass Batschauers Handeln planlos und seine zivilen Vorstrafen wenig gravierend waren und schon lange zurück lagen. Sein Leben, das bisher keinen Wert habe, werde dann vielleicht nicht nutzlos gewesen sein, wenn er jetzt durch seinen Tod anderen Kameraden ein abschreckendes Beispiel sei, soll Marinekrieggerichtsrat Becker gesagt haben. So berichtet es Rainer Redies von der Cannstatter Stolpersteininitiative über das Opfer einer grausamen Justiz. Auch Heinz Wienand von der Initiative Stolpersteine Stuttgart hat dazu geforscht.


Der Stolperstein, der am 1. Juli 2016 in der Brunnenstraße 31 gesetzt wurde. Foto: privat

Für den Deserteur wurde am 1. Juli 2016 ein Stolperstein in der Brunnenstraße 31 in Bad Cannstatt gesetzt, der an das Schicksal des jungen Mannes erinnert, der dort Anfang der 1930er Jahre mit seinem Bruder Hans gewohnt hatte. Batschauer war das fünfte Kind des Möbelspediteurs Alfred Batschauer und seiner Frau Frieda in Lahr. Er wurde am 17. April 1913 geboren. Erich war keine drei Monate alt, als ihn ein erster Schicksalsschlag traf: Seine Mutter starb. Der Vater war im Ersten Weltkrieg Soldat. Die Kinder wurden von Haushälterinnen und der Großmutter versorgt. Die Möbelspedition ging in Konkurs. 1920 heiratete der Vater wieder. Weitere fünf Kinder kamen zur Welt.

Erich Batschauer zog zum Bruder nach Bad Cannstatt
Angesichts der finanziellen Not der Familie wurden die Söhne Willi und Erich einem Bauern übergeben, um bei ihm für „Kost und Logis“ zu arbeiten. In den 1930er Jahren zog Erich zu seinem Bruder Hans nach Bad Cannstatt in die Brunnenstraße. Der Bruder war Kommunist und dort als Friseur und Kosmetiker tätig, später dann bei der Süddeutschen Kugellagerfabrik (SKF). Erich gehörte dem kommunistischen Jugendverband an und ging im September 1940 zur Kriegsmarine. Er war bei der Marine-Artillerie-Abteilung 262 im besetzten Frankreich im Einsatz. Vier Mal kam er zu spät zur Einheit. Am 23. Mai 1941 desertierte er. Ein Landwirt verriet ihn. Er gab sich als englischer Pilot polnischer Herkunft in einem Kriegsgefangenenlager aus, bis er sich selbst enttarnte.

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Erich Batschauer lebte in dem Gebäude mit dem auffallenden Neorenaissance-Giebel in der Brunnenstraße 31 in Bad Cannstatt – eine Aufnahme aus dem Jahr 1942 im Rahmen unserer Serie Stuttgart 1942. Foto: Stuttgarter Stadtarchiv

Im Juli 1941 wurde er zur Gerichtsverhandlung nach Frankreich überstellt. Dort wurden ihm auch zivile Straftaten vorgeworfen worden wie Bettelei, Zugehörigkeit zu einer kommunistischen Jugendorganisation und Zuhälterei. Er gestand seine prekäre finanzielle Situation wegen Zahlung von Alimenten ein, beteuerte jedoch auch, dass ihm die Eheschließung verweigert worden sei. Anfang 1936 habe er versucht, sich das Leben zu nehmen.

Am Ende wurde Batschauer zum Tode verurteilt. „Anstatt ihren Ermessensspielraum zu nutzen, ließen sich die Richter von ideologischem Fanatismus leiten“, stellte Redies fest. Batschauer hatte keine Chance mehr. Am 4. Dezember 1941 wurde er in St. Nazaire an der Loire erschossen und wurde damit, wie mehr als 20 000 Leidensgenossen ein Opfer der Wehrmachtsjustiz, die keine Gnade kannte.



Die Verlegung des Stolpersteins. Rechts Hans J. Batschauer, daneben zwei seiner Enkel. Foto: privat

Der Neffe von Erich Batschauer, Hans Batschauer, war bei der Stolpersteinverlegung 2016 in Bad Cannstatt dabei zusammen mit einem Enkel und seiner Tochter. Es sei für ihn ein besonderes Ereignis gewesen, sagt er. Der 1951 geborene Neffe kannte seinen Onkel nicht; er hatte nie die Chance, ihn kennenzulernen. Von seinem Vater Hans hatte jedoch gehört, dass Erich plante, zur Resistance zu gehen. „Er war ein Gegner von Hitler“, sagt der Neffe. Und auch sein Vater Hans sei einer der ersten Verhafteten gewesen, die als Regimegegner deportiert wurden. Diese seien damals als Asoziale abgestempelt worden, auch sein Onkel. Der Neffe lebte bis 2017 in Stuttgart, er hat Werbung und Kommunikation studiert, eine Werbe- und Eventagentur betrieben und ist ehrenamtlich in einem Integrationsverein und als Bewährungshelfer aktiv. Der Geschichte widmet er sich auch in künstlerischer Form; sie wirkt in seine Arbeiten hinein

Auch Hans Batschauers Vater war ein Regimegegner. Er war im KZ Heuberg in Stetten am Kalten Markt interniert und kam unter Auflagen frei. Hans wurde zur Waffen SS- zwangsrekrutiert, desertierte ebenfalls und wurde schwer verletzt. In den Alpen hatte er sich vor einem amerikanischen Jagdflieger in einem Bunker gerettet. Der Bunker wurde beschossen, er war verschüttet. Schließlich fanden ihn Suchtrupps. Aus einem Lazarett in Österreich sei er dann zurück nach Bad Cannstatt gekommen. Der Widerstand seiner Verwandten mache ihn stolz, sagt Hans Batschauer. Heute sei er hellhörig angesichts der jüngsten Entwicklungen von AfD und rechten Kreise. Sein Appell lautet, sich für die Demokratie stark zu machen.