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Stolpersteine mahnen zu Toleranz und Mitmenschlichkeit

Wenige Tage vor der nächsten Bundestagswahl wird der Kölner Künstler Gunter Demnig in Stuttgart erneut ein Zeichen gegen Gewalt und Diskriminierung setzen. Demnig, Initiator des europäischen Kunst- und Erinnerungsprojektes Stolpersteine, kommt am 21. Februar 2025 in die Landeshauptstadt, um sechs weitere dieser Gedenksteine zu verlegen. Sie erinnern an die Opfer des nationalsozialistischen Terror-Regimes, die ermordet wurden wegen ihrer politischen Einstellung, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Krankheit oder schlicht weil sie Juden oder Sinti und Roma waren. Damit erhöht sich die Zahl der Gedenksteine in Stuttgart auf deutlich über 1050. Insgesamt hat der 77-jährige Künstler in vielen europäischen Ländern mehr als 100.000 Gedenksteine verlegt.

Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate sollten uns wachrütteln. Die Anhängerschaft der extremen Rechten hat inzwischen in erschreckendem Umfang zu genommen. Rechtsextreme Positionen und Narrative bestimmen immer mehr den politischen Diskurs. Umfangreiche Abschiebungen, Abschottung und pauschale Zurückweisungen von Schutzsuchenden an deutschen Grenzen gehören mittlerweile zum Programm selbst demokratischer Parteien. Ein unerträglicher Zustand. Und Tech-Milliardär Elon Musk hofiert nicht nur US-Präsident Donald Trump, er mischt sich massiv in den deutschen Wahlkampf ein, indem er lautstark für die AfD wirbt.

Ein Stolperstein für Heinrich Heuberger

In der Sickstraße 18 im Stuttgarter Osten hat Heinrich Heuberger mit Ehefrau Isolde und Tochter Sigrid gewohnt (Stolperstein-Verlegung um 9 Uhr). Er war Bankbeamter, zuletzt bei der Bausparkasse Wüstenrot in Ludwigsburg tätig. Im Juni 1932 wird er aufgrund einer akuten Psychose in die geschlossene Abteilung des Bürgerhospitals Stuttgart eingewiesen. Der zweimonatige Aufenthalt kann seinen Zustand aber kaum verbessern. Im September 1932 kommt er in die Heilanstalt Winnental in Winnenden. Am 3. Juni 1940 wird er in die Tötungsanstalt Grafeneck gebracht, wo er noch am selben Tag im Rahmen der „Euthanasie“-Aktion ermordet wird.

Ein Stolperstein für Amalie Mathilde Reif

In der Sickstraße 55 hat Amalie Mathilde Reif gelebt (Verlegung um 9:20 Uhr). Um der Vernichtung durch die Nazis zu entkommen, plant sie 1941 mit ihrer Schwester in die USA auszuwandern. Ihr Haus in der Sickstraße muss sie zu einem niedrigen Preis zu verkaufen. Doch zu einer Auswanderung ist es nicht mehr gekommen. Amalie Mathilde Reif wird 1942 – mit 75 Jahren – ins Zwangsaltersheim Dellmensingen umgesiedelt. Nach Auflösung des Heims werden die BewohnerInnen über den Stuttgarter Nordbahnhof zunächst nach Theresienstadt und von dort in ein Konzentrationslager im Osten gebracht.  

Drei Stolpersteine für die Familie Engländer

In der Cäsar-Flaischlen-Straße 37 in Stuttgart-Nord erinnern künftig drei Stolpersteine an Friederike Engländer, geboren 1866, und ihre beiden Söhne Ernst und Walter (Verlegung um 9:50 Uhr). Die Engländers sind Unternehmer. Friederikes Mann Heinrich führt gemeinsam mit seinem Bruder Hermann ein Weißwaren- und Stickereigeschäft in Stuttgart. 1904 gründet die Unternehmerfamilie eine Gardinenfabrik in der Adlerstraße im Süden Stuttgarts, zu der auch eine Weberei im sächsischen Lengenfeld für „englischen Tüll“ gehört. Auch die drei Söhne Otto (geb. 1891), Ernst (1894) und Walter (1895) von Friederike und Heinrich Engländer steigen nach dem Studium am Reutlinger Technikum für Textilindustrie in die Firma ein. Bei der Pogromnacht 1938 werden Ernst und Otto verhaftet und einige Wochen in Dachau bzw. Welzheim interniert. Sie werden gezwungen, die Firmengebäude in der Adlerstraße sowie die Weberei in Lengenfeld weit unter Wert an konkurrierende Firmen zu verkaufen. Heinrich Engländer erlebt das nicht mehr; er ist 1910 gestorben. Friederike, Ernst und Walter flüchten in die Niederlande, doch die Weiterreise misslingt. Ernst kommt im Sommer 1942 zunächst ins Durchgangslager Westerbork und dann nach Auschwitz. Im August 1942 wird er ermordet. Friederike Engländer stirbt im Juni 1943 in Westerbork, Walter kurz vor der Befreiung der Niederlande in einem Amsterdamer Krankenhaus. Nur Otto Engländer gelingt die Flucht über Großbritannien in die USA. Zur Verlegung der drei Stolpersteine durch den Künstler Gunter Demnig haben sich Verwandte von Otto Engländer aus Großbritannien und evtl. auch aus den USA angekündigt.

Ein Stolperstein für Elias Gideon

In der Schickhardtstraße 35 im Süden Stuttgarts wird ein Stein für Elias Gideon verlegt (Verlegung um 10:20 Uhr). Eigentlich wird an dieser Stelle bereits seit 2006 an Gideon erinnert. Doch bei Bauarbeiten ist der ursprüngliche Stein verloren gegangen, deshalb wird unter Beisein von SchülerInnen des Schickhardt-Gymnasiums der Ersatzstein verlegt. Gideon wurde 1881 in Rexingen geboren. Er war eines von acht Kindern. Als seine Mutter im Alter von 33 Jahren starb, war er gerade zwei Jahre alt. 1925 taucht der Name von Elias Gideon im Stuttgarter Adressbuch auf: Elias Gideon, Geschäftsführer, Schickhardtstraße 35. Ab 1938 war er in der Gymnasiumstraße 13 gemeldet, in einem Haus, in dem sechs weitere jüdische Familien untergebracht waren, vermutlich ein sogenanntes „Judenhaus“. Ende 1941 wird er vom Stuttgarter Nordbahnhof aus nach Riga deportiert und dort ermordet.

Veranstaltungen

Im Nahen Osten wurde seit dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 eine neue Eskalationsstufe erreicht. Im Hotel Silber in der Stuttgarter Dorotheenstraße findet dazu eine Veranstaltungsreihe statt. Gezeigt wird der Film „Das Herz von Jenin“ des Dokumentarfilmers Marcus Vetter. Er erzählt darin die Geschichte des palästinensischen Vaters Ismael Khatib aus Jenin, dessen Sohn von israelischen Soldaten getötet wurde und der trotz tiefer Trauer als Zeichen des Friedens die Organe seines Sohnes an israelische Kinder spendete. Zu sehen ist der Film mit anschließendem Gespräch am 5. Februar um 18 Uhr im Hotel Silber.

Am 9. Februar wird Richard C. Schneider, langjähriger Israel-Korrespondent der ARD, aus seinem Buch „Die Sache mit Israel“ lesen.  Die moderierte Lesung beginnt um 11 Uhr. Zu beiden Veranstaltungen bitte anmelden unter: anmeldung@hotel-silber.de

STOLPERSTEIN-Verlegung mit Gunter Demnig am 21. Februar 2025

Am Freitag, 21. Februar 2025 wird der Künstler Gunter Demnig, Initiator des europäischen Kunst– und Erinnerungsprojektes, wieder persönlich nach Stuttgart kommen, um sechs weitere Gedenksteine selbst zu setzen. Die angegebenen Uhrzeiten können nur eine grobe Orientierung für den geplanten Zeitpunkt der Verlegung sein. Verschiebungen lassen sich nicht ausschließen, Änderungen sind möglich. Die Begleitveranstaltungen beginnen in der Regel früher.
Generell gilt: Wer eine Steinverlegung miterleben möchte, sollte auf jeden Fall frühzeitig vor Ort sein (bis zu 30 Minuten vorher) und die Mitteilungen der Stadtteil-Initiativen beachten!

Stolpersteine für Stuttgart am Freitag, den 21. Februar 2025:

09:00 – 09:15OstSickstr. 181 Stein für HEINRICH HEUBERGER
    
09:20 – 09:35OstSickstr. 551 Stein für AMALIE MATHILDE REIF
    
09:50 – 10:10Nord (Initiative West)Cäsar-Flaischlen-Str. 373 Steine für FRIEDERIKE ENGLÄNDER und ihre Söhne ERNST und WALTER
    
10:20 – 10:30SüdSchickhardtstr. 35 (Ersatzstein)1 Stein für ELIAS GIDEON
    

Stolpersteine für Stuttgart:  www.stolpersteine-stuttgart.de
StolperKunst – ein Projekt belebt Erinnerung: www.stolperkunst.de
Die Menschen hinter den Namen – Artikelserie: stuttgarter-zeitung.de – stuttgarter-nachrichten.de
Gedenken braucht Orte – ein Erinnerungsort für die Zukunft: www.hotel-silber.de
Stolpersteine in Europa – KunstDenkmal von Gunter Demnig: www.stolpersteine.eu

Veranstaltungsreihe „Wege aus der Konfrontation?!“ zum Nahost-Konflikt

Mittwoch, 5. Februar 2025:    Das Herz von Jenin

Film & Gespräch mit Dokumentarfilmer Marcus Vetter und
Gari Pavkovic, Integrationsbeauftragter der Stadt Stuttgart
Moderation: Elisabeth Kabatek, Autorin

18:00 Uhr, Hotel Silber, Foyer, Dorotheenstr. 10

Sonntag, 9. Februar 2025: Die Sache mit Israel

Lesung mit Richard C. Schneider, Buchautor und langjähriger Israel- Korrespondent der ARD
Moderation: Annette Goerlich, Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg

11:00 Uhr, Hotel Silber, Foyer, Dorotheenstr. 10

Eintritt frei, Spenden willkommen! Anmeldung erbeten unter anmeldung@hotel-silber.de

Eine Kooperation von: Initiative Lern– und Gedenkort Hotel Silber e.V., Die AnStifter, Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg, Stuttgarter Stolperstein-Initiativen und NaturFreunde Stuttgart e.V.

Download der Pressemitteilung hier