Die Stuttgarter Stolperstein-Initiativen haben am Samstag, 2. Juli 2016, gemeinsam mit Paten und Unterstützern, Schulklassen und Jugendgruppen Putzaktionen in den Stadtteilen organisiert, um die zum Teil schon etwas in die Jahre gekommenen Stolpersteine aufzupolieren. Außerdem wird es am Freitag und Samstag, 15. und 16. Juli 2016, zwei Tage lang bei einer Open-Space-Konferenz im Hospitalhof um die Frage gehen, welche Zukunft die Stolpersteine in Stuttgart als Teil der Erinnerungskultur haben.
Den Auftakt der Aktionswochen bildete am Freitag, 1. Juli 2016, eine weitere Stolpersteinverlegung mit dem Kölner Künstler Gunter Demnig, der in Stuttgart von 9 Uhr bis zum frühen Nachmittag Stolpersteine verlegt hat.
Weit über 58.000 verlegte Stolpersteine an 1.600 Orten in Deutschland und 20 europäischen Ländern – mit Litauen ist das 21. in Planung – geben ein eindrucksvolles Zeugnis ab für das Projekt von Gunter Demnig. Schließlich bedeutet dies auch, dass Ehrenamtliche in ganz Europa das Leben und das Leid von weit über 58.000 Opfern des Nationalsozialismus, also von Juden, politisch Andersdenkenden, Behinderten, Homosexuellen, Zeugen Jehova sowie Sinti und Roma erforscht haben. Stolpersteine erinnern an diese Menschen, zumeist dort, wo sie ihren letzten selbstgewählten Wohnsitz hatten.
In Stuttgart gibt es bereits seit letztem Jahr mehr als 800 Stolpersteine, die auf öffentlichen Gehwegen als Kleindenkmale die Vergangenheit wach halten und dazu ermahnen, dass sich diese niemals wiederholen darf. Am 1. Juli wurden in sieben Stadtbezirken weitere 31 Stolpersteine verlegt:
In Zuffenhausen auf der Schlotwiese waren zahlreiche Zwangsarbeiter für nahe Rüstungsfirmen, etwa den Heinkel-Flugzeugmotorenwerken, in einem Lager untergebracht. Kleinste Vergehen wurden mit härtesten Strafen belegt. An sechs Zwangsarbeiter aus Polen und der Sowjetunion, die von hier abtransportiert und am 19. Mai 1943 im Gestapogefängnis Welzheim ermordet wurden, erinnern jetzt Stolpersteine. Aus diesem Anlass wurde bereits zuvor, am Montag, 27. Juni 2016, um 19:30 Uhr, im Bürgerhaus Rot, Auricher Straße 34, der Film “Das Heimweh des Walerjan Wrobel”, über das Leben und die Ermordung eines jugendlichen Zwangsarbeiters aus Polen, gezeigt.
In Stuttgart-Nord wurden Stolpersteine für das jüdische Ehepaar Moritz und Irma Rosenthal verlegt. Moritz Rosenthal war Bankdirektor beim Stuttgarter Kassenverein. Als Jude wurde er 1934 entlassen. Ihren 15-jährigen Sohn Ernst schickte das Ehepaar Rosenthal 1935 nach London. Auch sie selbst planten die Auswanderung, gaben dazu sogar schon ihre Wohnung auf, doch es sollte ihnen nicht gelingen. Er starb in Theresienstadt, sie wurde weiter nach Auschwitz deportiert. Einen Stolperstein erhält auch Helene Eisig, die ebenfalls in Theresienstadt ums Leben kam.
Im Westen kamen zwei Stolpersteine für Emanuel und Nelly Grünwald zur Verlegung, die hier 25 Jahre lang eine Betten- und Bettfedernhandlung, Aussteuergeschäft, hatten.
Im Süden erinnert ein Stolperstein an den Kaufmann Willi Winkle erinnert, dessen Mutter Jüdin war. Er hatte seit Dezember 1941 die Konzentrationslager Riga, Stutthof bei Danzig und Buchenwald schon überlebt, als er im April 1945 beim Transport nach Theresienstadt erschossen wurde.
In Stuttgart-Mitte geht es um das in Treblinka getötete Ehepaar Nesia und Israel Weinstein sowie deren Kinder, die flüchten konnten und den Nationalsozialismus überlebt haben. Gunter Deming rückt damit einen Aspekt in den Vordergrund, der bisher kaum eine Rolle spielte: Was die Verfolgung durch Nazis für die Familien und Nachfahren der Opfer bedeutet. Mit den Stolpersteinen kommt eine Familie, die vom NS-Staat getrennt wurde, symbolisch wieder zusammen. Dies geschieht auf Wunsch der Familie.
Im Osten schließlich wurden vier Stolpersteine den Opfern der “Euthanasie” gewidmet, Menschen also, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung langjährig oder mehrfach für kurze Zeit in Heilanstalten untergebracht waren und dann nach Grafeneck zur Ermordung “verlegt” wurden. Besonders tragisch ist das Schicksal des Ehepaares Fritz und Eugenie Bächle. Fritz Bächle erkrankte wegen seiner Erlebnisse als Soldat im Ersten Weltkrieg. Dadurch geriet die Familie in Not und als Folge davon erkrankte auch seine Frau Eugenie.
Zum Abschluss wurde in Bad Cannstatt drei ganz unterschiedlichen Schicksalen gedacht: Der Marine-Artillerist Erich Batschauer hat 1941 seine Einheit unerlaubt verlassen, wurde deswegen vor Gericht gestellt und von einem Militärgericht zum Tode durch Erschießen verurteilt. Adolf Eisenhardt verlor sein Leben, weil er sich den Zwängen und Normen des NS-Staates widersetzte und darum als „asozial“ stigmatisiert wurde. Und das nach Luxemburg ausgewanderte (geflohene) jüdische Ehepaar Lucie und Jakob Cohen fiel dort, nachdem das neutrale Nachbarland von deutschen Truppen überrollt wurde, seinen Verfolgern doch noch in die Hände und wurde ermordet.
Aktueller Routenplan für die Stuttgarter Stolperstein-Verlegung am 1. Juli 2016
(Stand vom 06.06.2016)
Stolpersteine für Stuttgart am Freitag, den 1. Juli 2016 (Uhrzeit~Steinverlegung):
9:00 Zuffenhausen – Hirschsprungallee 18
6 Steine für die am 19.5.1943 im Gestapogefängnis Welzheim ermordeten Zwangsarbeiter Stefan GORSKI, Peter CZORNOPPSKYI, Franz KIRYLCZUK,
Johann HADAM, Iwan MAKARSKY und Adolf SERUGA
9:40 S-Nord – Seestr. 112
2 Steine für Moritz + Irma ROSENTHAL
Deportiert 1942 Theresienstadt
Ermordet 1943 (Moritz) bzw.1944 Auschwitz (Irma)
9:50 S-Nord – Relenbergstr. 64
1 Stein für Helene EISIG, geb. ROSENTHAL
Deportiert 1942 Theresienstadt Ermordet 4.9.1942
10:10 S-West – Johannesstr. 60
2 Steine für Emanuel + Nelly GRÜNWALD
Deportiert 1941 Riga Ermordet
10:30 S-Süd – Pelargusstr. 4
1 Stein für Willi WINKLE
Deportiert 1941 Riga 1944 Stutthof/Buchenwald
Ermordet 10.4.1945 auf Transport nach Theresienstadt
10:50 S-Mitte – Heilmannstr. 15
11 Steine für Israel + Nesia WEINSTEIN
Deportiert 1942 Theresienstadt
Ermordet 1942 Treblinka
sowie deren Kinder Olga, Paula, Siegfried, Julius Kurt, Helmut, Lydia, Claire,
David und Fanny, die sich durch Flucht ins Ausland retten konnten und überlebten!
11:30 S-Ost – Farrenstr. 51
1 Stein für Franz WINZENRED
EINGEWIESEN 10.12.1936 HEILANSTALT Zwiefalten
„VERLEGT“ 18.6.1940 Ermordet in Grafeneck
11:45 S-Ost – Gottliebstr. 4
1 Stein für Benno GRAF
EINGEWIESEN 26.9.1924 HEILANSTALT Weissenau
„VERLEGT“ 20.5.1940 Ermordet in Grafeneck
12:00 S-Ost – Bergstr. 51
2 Steine für Fritz und Eugenie BÄCHLE
Beide kamen über Weissenau nach Grafeneck, wo sie dann ermordet wurden
(Fritz am 9.9.1940, Eugenie am 24.5.1940)
13:30 Bad Cannstatt – Nastplatz 2
1 Stein für Adolf EISENHARDT
Verhaftet 1942 Buttenhausen
KZ Natzweiler TOT 1944
14:00 Bad Cannstatt – Brunnenstraße 31
1 Stein für Erich BATSCHAUER
Desertiert 1941 Marineartillerie Brest Verurteilt 18.9.1941
Erschossen 4.12.1941 St. Nazaire
14:30 Bad Cannstatt – Bahnhofstraße 14
2 Steine für Lucie und Jakob COHEN
Beide wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert, Lucie 1944 nach Auschwitz (???), Jakob TOT 1942
Die angegebenen Uhrzeiten können nur eine grobe Orientierung für den geplanten Zeitpunkt der Verlegung sein — Verschiebungen lassen sich trotz sorgfältiger Planung leider nicht ganz ausschließen — Änderungen sind möglich — Wer bei einer Steinverlegung dabei sein will, sollte sich deshalb möglichst frühzeitig am Verlegungsort einfinden! Aufgrund des eng bemessenen Zeitplans kann Gunter Demnig an den vor Ort stattfindenden Rahmenveranstaltungen jeweils nur kurz teilnehmen! Mehr Infos über die einzelnen Stadtteilinitiativen oder in der Tagespresse!
Den aktuellen Plan für die Verlegung am 1. Juli 2016 gibt es hier zum Ausdrucken